Auf den Flugplätzen, die zu schlafen schienen

"Im Morgengrauen des 22. Juni 1941 wurden die Hauptkräfte der sowjetischen Luftstreitkräfte auf den Flugplätzen von einem vernichtenden plötzlichen Angriff der deutschen Luftwaffen zerstört". Von allen Mythen, die mit der Geschichte verbunden sind,  ist dieser am lebendigsten. Und das ist nicht zufällig.

Unsinnige Erfindungen über „durch einen plötzlichen Angriff vernichtete Flugzeuge“ war für sowjetische Propagandisten aus zwei Gründen vom Vorteil: Erstens passte diese These perfekt zu dem für die ganze sowjetische Mythologie wichtigsten Sinnbild „des ruhig schlafenden sowjetischen Landes“, dessen Leitung angeblich gar an keinen Krieg dächte. Zweitens gab sie die Möglichkeit, sich der tatsächlich wichtigen Diskussion zu entziehen: Warum konnten die riesigen sowjetischen Luftstreitkräfte, die mehrmals dem Gegner ums mehrfache zahlenmäßig überlegen waren, keinen mehr oder weniger bedeutenden Einfluß auf den Verlauf der Kampfhandlungen der ersten Tage und Wochen des sowjetisch-deutschen Krieges ausüben? Eine absurde These über „die auf den ruhig schlafenden Flugplätzen zerstörten Flugzeuge“, die außer den unendlichen unsinnigen Wiederholungen von nichts bestätigt wurde, überlebte ihre Schöpfer und wurde von den meisten Westhistorikern und –journalisten in vollem Maße  als „eine festgestellte historische Tatsache“ wahrgenommen. 

Mark Solonin war der erste, der genug Mut aufbrachte, um zu sagen: „Und der König ist doch nackt!“. Sogar der erste Schritt, sogar der einfachste Vergleich der Zahl der als am Boden zerstört gemeldeten Flugzeuge (800 Stück) mit der Gesamtstärke der Gruppierung der sowjetischen Luftstreitkräfte, die an der Westgrenze der UdSSR (über 8,5 Tausend Stück) stationiert waren, ebenso, wie der Vergleich der Zahl der angegriffenen Flugplätze (66) mit der Gesamtzahl der Flugplätze der westlichen Militärbezirke (613), zerpflückte die bestehenden nicht wahrheitsgetreuen Erfindungen. Aber der Inhalt der 600 Seiten starken Studie „Auf den friedlich schlafenden Flugplätzen“ ist bedeutend tiefer; die Fragenstellungen des Autors sind viel komplizierter, als die Enthüllung der offenbaren Ungereimtheiten.

Das Buch von M. Solonin ist eine bedeutende historische Untersuchung, die von einem professionellen Flugzeugingenieur verfaßt wurde (der Autor arbeitete viele Jahre lang in einem geheimen Flugzeugkonstrukteurbüro). Gerade von diesem Umstand wurden die einzigartigen Vorteile des Buches geprägt, weil es ohne tiefes Verständnis des materiellen und technischen Aspekts dieser Angelegenheit eine unmöglich ist, die Geschichte des Flugzeugeinsatzes während der Kampfhandlungen wahrheitsgetreu nachzuvollziehen.

Vor allem schlägt M. Solonin dem Leser vor, sich mit Termini, Begriffen, Kategorien des Flugzeugbaus auseinanderzusetzen, zu verstehen - auf welche Weise ein Flugzeug fliegt,  wodurch sein Flugverhalten bestimmt wird, wie sie miteinander verbunden sind, wie werden von ihnen die Ergebnisse des Flugzeugeinsatzes während der Kampfhandlungen beeinflusst, bzw. nicht beeinflußt. Dieser Abschnitt (der knapp ein Viertel des Buches umfaßt) stellt ein einzig nie dagewesenes Beispiel dafür dar, wie die schwierigsten Fragen der Aerodynamik oder der Festigkeitstheorie ohne Einbuße der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit in der Sprache dargestellt werden, die für jeden wissbegierigen Oberschuldabsolventen verständlich ist. 

Nachdem der Autor „mit dem kurzen Kurs der technischen Ausbildung“ fertig geworden ist, führt er den Leser in das Moskau des Jahres 1939, in die Arbeitszimmer der Leiter der sowjetischen Flugzeugindustrie und auf Prüfgelände, in mit Gefängnissen vergleichbare „Versuchs- und Konstrukteurbüros“ (die einzigartige Erfindung Stalins und seiner Helfershelfer) und auf die Startbahnen von Geheimflugplätzen. Die Geschichte des erbitterten Kampfes der konkurrierenden Gruppierungen in der Stalinschen Umgebung bestimmte paradoxerweise die Entwicklung des sowjetischen Flugwesens in den Vorkriegsjahren vorher. "Der Rattenkönig und "der König der Jagdflugzeuge" - so hieß ein Kapitel im Buch, und solch ein finsterer Name entspricht völlig der Geschichte der tatsächlichen Ereignisse, die nicht nur mit dem Tod einiger Testpiloten, sondern mit einer neuen Repressalienwelle endeten, den einige Tage vor Beginn des deutsch-sowjetischen Kriegs (!!!) der ganze Oberkommando der sowjetischen Luftstreitkräfte zu Opfer fiel.

Der dritte, der wichtigste und der größte Teil des Buches ist der Beschreibung und Analyse des Verlaufs der Kampfhandlungen in der Luft im Sommer 1941 gewidmet. Was geschah in Wirklichkeit auf den grenznahen Flugplätzen am frühen Morgen des 22. Juni 1941? Warum unterscheiden sich die Ergebnisse der Luftangriffe auf sowjetische Flugplätze in verschiedenen Bereichen der Ostfront so auffallend (ums zehnfache)? Warum waren die Gegenangriffe der sowjetischen Luftstreitkräfte auf die Flugplätze, auf denen die Luftwaffe stationiert war, so ergebnislos? Warum konnten die sowjetischen Luftstreitkräfte, die zahlenmäßig so stark überlegen waren, Erdölfelder von Rumänien nicht zerstören, d.h. die Aufgabe nicht erfüllen, auf die sie sich seit Jahren vorbereitet haben? Und endlich – warum konnte die deutsche Luftwaffe der allgemeinen irrigen Annahme entgegen die Luftüberlegenheit nicht erreichen?

Überzeugende Antworten auf diese (und viele andere Fragen) sucht der Autor zusammen mit dem Leser. Aus hunderten Dokumenten, Kampfberichten, Fragmenten der Erinnerungen von Ereignisteilnehmern kann man sich ein Bild machen, das unvergleichlich schwerer ist, als der Mythos über den „vernichtenden ersten Angriff“, aber dabei ist es paradoxalerweise unglaublich einfach. Auf den letzten Seiten des Buches kommt der Autor zur folgenden Schlussfolgerung: "Nachdem wir einen langen und mancherorts auch ermüdenden Weg zurückgelegt hatten, kamen wir zu einem so einfachen Ergebnis, dass ich ehrlich gesagt eine kleine Verlegenheit spüre – hätte man wirklich so viele Wörter verschwenden müssen? Die Gründe für die Niederlage der sowjetischen Luftstreitkräfte waren genau dieselben, wie die Gründe für die Niederlage der ganzen Roten Armee. Die Luftstreitkräfte der UdSSR waren ein Teil der von außen unzerstörbaren, aber innen schwer kranken Gesellschaft.  Das  Wirrwarr von Losungen und Plakaten löste sich mit den Schlägen des Kriegsgewitters auf – die Wahrheit kam zum Vorschein, dass das sowjetische Volk und seine Armee nicht bereit waren, solch ein Land, solch ein Regime und solch einen „Führer“ zu verteidigen…"


Inhaltsverzeichnis  

Teil 1. Flugzeuge

Kapitel 1. 250.000  

Fragestellung, Übersicht und Kritik an der allgemein bekannten Betrachtung des Problems. Kann man davon sprechen, dass die Luftwaffe die absolute Luftüberlegenheit erreichte, wenn in den ersten drei Kriegsmonaten die sowjetischen Luftstreitkräfte 250 Tausend Kampfabflüge machen konnten?   

Kapitel 2. Warum fliegen Flugzeuge

Hauptbegriffe der Aerodynamik und Flugdynamik.  Warum konnten die Jagdflugzeuge der 30er Jahre ein Bombenflugzeug nicht einholen? Kann das leichteste Jagdflugzeug das Beste sein? Waren die sowjetischen Flugzeuge aus Leimholz? Vergleichsmäßige Vor- und Nachteile der Motoren mit Luft- und Flüssigkeitskühlung. Verschiedene konstruktive Schemata, oder warum hat Metall Holz ersetzt.  

Kapitel 3. Die wichtigsten Flugzeuge

Bombenflugzeuge – Aufgaben, Taktik und Einsatzstrategie, Anforderungen an die technischen Angaben der Bombenflugzeuge.    

Kapitel 4. Die Luftarbeiter des Krieges        

Taktische Bombenflugzeuge des Anfangszeitraums des 2. Weltkrieges – Geschichte der Entstehung und des Kampfeinsatzes, technische Flugdaten  

Kapitel 5. Flugzeuge des Kampffeldes

Der deutsche Stuka Junkers Ju-87 und das sowjetische gepanzerte Erdkampfflugzeug Il-2: zwei prinzipiell verschiedene Betrachtungsweisen des Schaffens des Flugzeuges für die Feuerunterstützung der Bodentruppen  

Kapitel 6. Die Besten  

Das deutsche Bombenflugzeug Junkers Ju-88 und das sowjetische Bombenflugzeug ANT – 58 (Tu-2). Warum kann man diese zwei Flugzeuge für die besten taktischen Bomber des 2. Weltkrieges halten?

Kapitel 7. Wie kämpfen Jagdflugzeuge

Die wichtigsten taktischen Aufgaben, die von Jagdflugzeugen gelöst werden. Die tatsächliche Verteilung der Abflüge nach der Art der Kampfaufgaben. Was war wichtiger – Quantität oder Qualität (taktisch-technische Daten) der Jagdflugzeuge?

Kapitel 8. Der Luftkampf: Grenzen des Möglichen 

Das wirkliche Ergebnis des Einsatzes der Jagdflugzeuge im 2. Weltkrieg. Warum hat die Hälfte der amerikanischen Jagdflieger kein deutsches Flugzeug abgeschossen?  

Kapitel 9. Finden und zerstören                   

Bewaffnung der Jagdflugzeuge des 2. Weltkrieges: technische Probleme und Lösungswege. Was ist besser: viele Maschinengewehre – oder eine starke Kanone? Quantitative Schätzungskriterien. Übersicht der Bewaffnungssysteme deutscher, französischer, englischer und sowjetischer Jagdflugzeuge Anfang der 40er Jahre

Kapitel 10. Technik und Taktik

Kann die Luftgefechtstaktik die mangelhafte technische Vollkommenheit eines Jagdflugzeuges ersetzen? Dynamische Flugzustände, Energiesteuerung im Luftgefecht. Taktik eines Gruppen- und Individualluftgefechtes.  

Teil 2. Am Vorabend

Kapitel 11. "Der Triumphmarsch" in Zahlen

Mai-Juni 1940, der Luftkrieg an der Westfront. „Pyrrhussieg“ der Luftwaffe in Frankreich  

Kapitel 12.  Minimum und Maximum     

Der Luftkampf um Britannien‚ die erste strategische Niederlage von Hitler. Wie und warum konnten die englischen Jagdflugzeuge den Angriff der zahlenmäßig überlegenen Kräfte der Luftwaffe zurückschlagen? Die englische Spitfire und die sowjetische I-16: Geschichte des Schaffens und taktische und technische Angaben zweier legendärer Flugzeuge  

Kapitel 13. Der Rattenkönig und „der König der Jagdflugzeuge“. Flugzeugkonstrukteur Polikarpow und seine Flugzeuge. Geheimnis um Tschkalows Tod.   

Kapitel 14. Große Rennen 

Januar 1939, Stalin beschloss, die Umgestaltung der sowjetischen Luftstreitkräfte und der sowjetischen Flugzeugindustrie selbst zu leiten. "Wettbewerb der 12 " und die Zerschlagung des

Polikarpow-Konstrukteurbüros. Silwanskis Schwindel. Die Clique von Kaganowitsch schuf ihr eigenes Flugzeugkonstruktieurbüro

Kapitel 15. Am schnellsten

Wie wurde der Bruder des Zentralkomitee–Sekretärs Mikojan zu seinem persönlichen Erstaunen zu einem hervorragenden Flugzeugkonstrukteur (Geschichte des Schaffens der MiG-3). Wer und wozu hat Stalin gesagt, dass die Geschwindigkeit der Hauptvorteil eines Bombenflugzeuges ist? Jakowlews Schwindel mit dem Flugzeug BB-22. Warum wurde das im mit einem Gefängnis vergleichbaren Versuchs- und Konstrukteurbüro geschaffene Halb-Bombenflugzeug Pe-2 zum Sieger des „Wettbewerbs um den Preis des Genossen Stalin“?   

Kapitel 16. Am weitesten  

Wozu brauchte Stalin ein Bombenflugzeug mit einer Flugweite von 5000 km? Die Geschichte des Schaffens des Bombenflugzeug Er -2 und ihr trauriges Ende. Erfolglose Tests mit der MiG-3 versetzen die „Cliquie Mikojans“ in Wut, was zum Auslöser einer neuen Repressalienwelle wurde.  

Kapitel 17. Folgenschwere Arbeit 

Ergebnisse der „Stalinschen Umgestaltung“ im Flugzeugbau. Warum kämpften sowjetische Luftstreitkräfte im Juni 1941 gegen Flugzeuge aus dem Jahr 1936?  

Kapitel 18.  Flugzeuge, die Mörder waren 

Wie viele sowjetische Piloten wurden vom eigenen Flugzeug getötet?  

Teil 3. Krieg

Kapitel 19. Recht auf Leben

Im Martyrologium der Opfer der  Bestrafung des Oberkommandos der sowjetischen Luftstreitkräfte

Kapitel 20. An der Grenze                                

Am Vorabend des entscheidenden Kampfes. Bestand der Gruppierung der sowjetischen und deutschen Luftstreitkräfte  

Kapitel 21. Flugzeuge und Menschen                    

Probleme bei der Ausbildung des Flugpersonals der sowjetischen Luftstreitkräfte – Mythen und Realität. Warum kam es so, dass die UdSSR - das führende europäische Erdölförderland – ohne Flugbenzin blieb?  

Kapitel 22. Angriff auf Flugplätze – Theorie und Praxis 

Der Luftangriff auf die Flugplätze des Gegners: "Das Zauberstäbchen" oder die schwierigste und riskanteste Operation der Luftstreitkräfte? Kampferfahrungen in Spanien. Der 10. Mai 1940 auf den Flugplätzen Frankreichs, Lehren von Pearl-Harbour, der 6-Tage-Krieg 1967 im Nahen Osten.

Kapitel 23. "Und wenn der Erzfeind zu uns kommt... "  

War der Angriff der deutschen Luftwaffe plötzlich? Die letzten Befehle und Richtlinien der sowjetischen Führung, die am Vorabend des 22. Juni 1941 erteilt wurden.

Kapitel 24. Wie war es – 1                      

Kampfhandlungen der ersten Tage des deutsch-sowjetischen Krieges an der Nord- (Polargebiete und Finnland) und der Südfront (das Schwarze Meer und Rumänien)  

Kapitel 25. Wie war es – 2                      

Kampfhandlungen der ersten Tage des sowjetisch-deutschen Krieges in der Luft über der Ukraine und dem Baltikum  

Kapitel 26. Wie war es – 3                      

Die Niederlage der sowjetischen Luftstreitkräfte in Westweißrussland – Chronologie der Ereignisse  

Kapitel 27. Vernichtende Verlagerung 

Die erste Schlussfolgerung – die Hauptverluste erlitten die sowjetischen Luftstreitkräfte nicht in der Luft, sonder am Boden. Der Grund für die Verluste wurde nicht die gegnerische Wirkung, sondern eine panische Verlagerung  der Truppenteile der Luftstreitkräfte. Die sowjetischen Luftstreitkräfte wurden vom chaotischen Rückzug der Roten Armee weggefegt. 

Kapitel 28.  Luftüberlegenheit            

Der Krieg geht weiter. Wie ist es den sowjetischen Luftstreitkräften gelungen, die zahlenmäßige Überlegenheit gegenüber der Luftwaffe aufrecht zu erhalten? Verhältnis zwischen den tatsächlichen Verluste auf beiden Seiten. Ist es der deutschen Luftwaffe gelungen, die Luftüberlegenheit zu erreichen? Eine komische Struktur der Verluste der sowjetischen Luftstreitkräfte und die Dynamik ihrer Veränderungen zwischen 1941 und 1945.  

Das letzte Kapitel

Ausklang. Zusammenfassungen und Schlussfolgerungen in 17 Thesen.

Kapitel 1. 250.000
Kapitel 24. Wie war es - 1
Kapitel 27. Vernichtende "Verlagerung"
Kapitel 28. Luftüberlegenheit
Das letzte Kapitel


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Vorschau:
Auf den Flugplätzen, die zu schlafen schienen
Unsinnige Erfindungen über „durch einen plötzlichen Angriff vernichtete Flugzeuge“ war für sowjetische Propagandisten aus zwei Gründen vom Vorteil: Erstens passte diese These perfekt zu dem für die ganze sowjetische Mythologie wichtigsten Sinnbild „des ruhig schlafenden sowjetischen Landes“, dessen Leitung angeblich gar an keinen Krieg dächte. Zweitens gab sie die Möglichkeit, sich der tatsächlich wichtigen Diskussion zu entziehen: Warum konnten die riesigen sowjetischen Luftstreitkräfte, die mehrmals dem Gegner ums mehrfache zahlenmäßig überlegen waren, keinen mehr oder weniger bedeutenden Einfluß auf den Verlauf der Kampfhandlungen der ersten Tage und Wochen des sowjetisch-deutschen Krieges ausüben? Eine absurde These über „die auf den ruhig schlafenden Flugplätzen zerstörten Flugzeuge“, die außer den unendlichen unsinnigen Wiederholungen von nichts bestätigt wurde, überlebte ihre Schöpfer und wurde von den meisten Westhistorikern und –journalisten in vollem Maße als „eine festgestellte historische Tatsache“ wahrgenommen.
Ìàòåðèàë ñ ñàéòà solonin.org

Worin liegt dann der Grund für die nie da gewesene militärische Katastrophe im Sommer 1941? Meine Antwort lautet so: Der Grund dieser Katastrophe liegt außerhalb des Bereiches der Taktik, Strategie, Anzahl und Qualität der Kampfgeräte oder des berüchtigten deutschen plötzlichen ersten Angriffes. Die Sowjetunion und ihre Armee waren auf den Krieg nicht vorbereitet, was die den Kampfgeist und die Organisation anbetrifft. Die Soldaten waren nicht bereit, sich selbst für den Kampf zwischen Stalin und Hitler um die Beute aufzuopfern. Aber trotz der kolossalen technischen und personellen Verluste ist es der Roten Armee nicht gelungen, zu einem adäquaten Instrument für einen langen blutigen Konflikt zu werden. Massenhafte Fahnenflucht, Gefangenschaften, zurückgelassene Waffen (Gewehre, sowie schwere Panzer) dominierten in der sowjetischen Armee. Wenn man es einfacher sagt, so waren es nicht zwei auf dem Gefechtsfeld kämpfende Armeen, es gab eine gut organisierte deutsche Armee und einen nicht kontrollierten panikergriffenen Haufen bewaffneter Sowjets, der schnell zu einer Menge Gefangener und Fahnenflüchtiger wurde.
Unsinnige Erfindungen über „durch einen plötzlichen Angriff vernichtete Flugzeuge“ war für sowjetische Propagandisten aus zwei Gründen vom Vorteil: Erstens passte diese These perfekt zu dem für die ganze sowjetische Mythologie wichtigsten Sinnbild „des ruhig schlafenden sowjetischen Landes“, dessen Leitung angeblich gar an keinen Krieg dächte. Zweitens gab sie die Möglichkeit, sich der tatsächlich wichtigen Diskussion zu entziehen: Warum konnten die riesigen sowjetischen Luftstreitkräfte, die mehrmals dem Gegner ums mehrfache zahlenmäßig überlegen waren, keinen mehr oder weniger bedeutenden Einfluß auf den Verlauf der Kampfhandlungen der ersten Tage und Wochen des sowjetisch-deutschen Krieges ausüben? Eine absurde These über „die auf den ruhig schlafenden Flugplätzen zerstörten Flugzeuge“, die außer den unendlichen unsinnigen Wiederholungen von nichts bestätigt wurde, überlebte ihre Schöpfer und wurde von den meisten Westhistorikern und –journalisten in vollem Maße als „eine festgestellte historische Tatsache“ wahrgenommen.
Das Wunderbarste an dieser ganzen Geschichte ist vielleicht, daß fast keiner etwas davon mehr weiß. Wörter, wie „vergessener“, „unbekannter“, „verlorengegangener Krieg“ passen am besten zum sowjetisch-finnischen Krieg, dessen dramatische Ereignisse sich in grandiösen Erschütterungen des 2. Weltkrieges auflösten. Es ist schwer (sogar unmöglich), sich einen Amerikaner oder Engländer vorzustellen, der nicht weiß, dass die Armee seines Landes in den Jahren des 2. Weltkrieges auf dem europäischen Kontinent gekämpft hat. Unwiederbringliche Verluste der Roten Armee in allen sowjetisch-finnischen Kriegen (1939-1944) waren bedeutend höher, als die Zahl der toten Soldaten der Alliiertenarmeen bei der Befreiung von Westeuropa, aber dabei konnten nicht nur Leute „von der Straße“, sondern auch Absolventen der Fakultäten für Geschichte an sowjetischen Universitäten kaum zumindest annährende Daten des Beginns und der Beendigung des sowjetisch-finnischen Krieges, seine wichtigsten Phasen und Ergebnisse nennen.
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